Herausforderungen und Lösungsansätze in der Notfallsanitäter-Ausbildung

Eigenschaften einer prozessorientierten Beurteilung und Bewertung

In diesem Artikel wird der Unterschied zwischen einer prozessorientierten und einer nicht-prozessorientierten Beurteilung und Bewertung verdeutlicht. Es konnte anhand einer Literaturrecherche keine Definition für den Ablauf einer prozessorientierten Prüfung innerhalb der Gesundheitsberufe oder einer entsprechenden Beurteilung und Bewertung gefunden. Eine Annäherung gelingt über die IT-Branche, die seit einigen Jahren prozessorientiert prüft und hier bereits Ergebnisse und Problemstellungen vorliegen.

Ebbinghaus (2004, S. 104) untersuchte dortige, prozessorientierte Prüfungsformen hinsichtlich notwendiger Beurteilungs- und Bewertungsaspekte. Die darin aufgeworfenen Fragen und Antworten lassen sich aufgrund ihrer allgemeinen Beschreibung auch auf Prüfungen in Gesundheitswesen übertragen:

„Prozesse sind dynamisch, Änderungen der Ausgangssituation und andere Störungen können das ursprüngliche Ziel modifizieren. Reicht es dann aber aus, zur Beurteilung der Befähigung zum Agieren und Gestalten von Prozessen nur das erzielte Ergebnis heranzuziehen? Lässt sich daran erkennen, ob Entscheidungen angemessen getroffen, auf Veränderungen adäquat reagiert wurde? Muss das erzielte Ergebnis nicht am Prozessverlauf anstatt an der ursprünglichen Zielsetzung gemessen werden? Es erscheint damit geboten den gesamten Prozess, der zum Ergebnis geführt hat mit in die Bewertung einzubeziehen. Kann das anhand seiner Dokumentation gelingen oder ist eine prozessbegleitende Bewertung angezeigt?“

Abseits der IT Branche und im Allgemeinen betrachten Berwanger et al. (2021, Nr. 1) einen Prozess als „[…] die Gesamtheit aufeinander einwirkender Vorgänge innerhalb eines Systems. […]“. Hier kann als System die rettungsdienstliche Patientenversorgung dienen, innerhalb derer die Patientenprozesse ablaufen.

Die Aussagen obiger Autoren lassen den Rückschluss zu, dass innerhalb eines patientenprozessorientierten Leistungsnachweises nicht nur das Outcome (hier: das Patientenoutcome) des Patientenprozesses beurteilt und bewertet werden sollte, sondern der Prozess als Solches sowie dessen Einflussfaktoren. Die reine Outcome-Betrachtung wird in diesem Artikel thematisiert und bereits dort als obsolet angenommen. Einen Überblick über die am Patientenprozess beteiligten Komponenten (welche maßgebliche Einflussfaktoren darstellen) lässt sich über die Turtle-Methode gewinnen, welche anhand einer Schildkröte den Prozess abbildet. Sie eignet sich, um Schwachstellen innerhalb eines Prozessablaufs zu erkennen (Weltring, 2016, S. 343–344). Dabei wird ein Prozess hinsichtlich seiner zugehörigen Komponenten dargestellt und deren Einfluss auf den Prozess auch bezüglich ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten untersucht. Folgende Abbildung stellt die Komponenten eines allgemeinen Patientenprozesses anhand einer Schildkröte dar:

Turtle-Diagramm des Patientenprozesses. Quelle: eigene Erstellung nach einer Vorlage von Weltring (2016, S. 343).

Damit eine Beurteilung und Bewertung als (patienten-)prozessorientiert gilt, muss sie also sämtliche Komponenten des Patientenprozesses und seiner sich beeinflussenden Teilprozesse möglichst detailliert und bestenfalls kriteriengeleitet entlang der Leistungsanforderungen einbeziehen.

Leitfragen für die patientenprozessorientierte Beurteilung und Bewertung:

Die Prüfer*innen müssen sich folgende Fragen stellen, welche zuvor sichtbar gemacht worden sein müssen:

  • Wie beeinflussen sich die Teilprozesse des Patientenprozesses gegenseitig?
  • Welche Auswirkung haben die zur Verfügung stehenden Ressourcen auf den Prozessablauf?
  • Wie werden die Vorgaben innerhalb des Prozesses umgesetzt (Leitlinien, Algorithmen, etc.)?
  • Wie wird das vorhandene Personal eingesetzt?
  • Wie wird mit dem vorhandenen Material umgegangen?
  • Werden die Befugnisse eingesetzt?
  • Werden sinnvolle Ziele innerhalb der Abarbeitung gesetzt und deren Erreichungsgrad evaluiert und gegebenenfalls nachgebessert?
  • Wurde die weitere Entwicklung des Patientenzustandes und der Situation antizipiert, bzw. prognostiziert?
  • Wie wurden die Maßnahmen geplant?

Wie dem Namen bereits zu entnehmen ist, wird während eines prozessorientierten Leistungsnachweises der Prozess als Solches betrachtet, hier der Patientenprozess. Wie umfangreich der Prozess letztendlich gestaltet wird, hängt von den Prüfungsvorgaben ab. Dies könnte ein einfacher Skill sein oder aber ein komplexes Fallbeispiel.

Über die Betrachtung der Prozesseigenschaften und -komponenten wird der Unterschied zwischen einer nicht – prozessorientierten (z. B. handlungsorientierten) und einer patientenprozessorientierten Beurteilung und Bewertung deutlich. Letztere richtet ihren Blick auch auf die Begleitumstände des Leistungsnachweises, welche relevante Einflussfaktoren auf die Versorgungshandlungen innerhalb eines Patientenprozesses haben können. Folgende Tabelle stellt die herausgearbeiteten Aspekte prozessorientierter und nicht-prozessorientierter Beurteilung und Bewertung gegenüber:

Betrachteter Aspektnicht patientenprozessorientiertpatientenprozessorientiert
Intention der HandlungEventuellJa
Zeitlicher Verlauf (Beginn-Ende)jaJa
eingesetztes PersonalEventuellJa
eingesetztes MaterialEventuellJa
Gegenüberstellung von prozessorientierten und nicht-prozessorientierten Beurteilungen und / oder Bewertungen.  Quelle: eigene Erstellung.

Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass z. B. eine nicht patientenprozessorientierte Checkliste ohne Kommentarmöglichkeit die Intention der Handlung nicht sicher berücksichtigt.

Folgerungen für eine patientenprozessorientierte Beurteilung und Bewertung

Vor jeder Prüfung stellt sich anfangs nicht nur die Frage, welche Leistungsanforderungen geprüft werden sollen, sondern auch in welchem Umfang die Leistungsanforderungen erfüllt sein müssen. In prozessorientierten Prüfungsbeurteilungen werden die Umgebungsbedingungen ebenfalls betrachtet, d. h., diese müssen bei der Beurteilung der Handlungen einbezogen werden. Das liegt daran, dass eine Handlung immer von außen beeinflusst wird, allein bereits wegen der vorangehenden Zielsetzung durch die handelnde Person. Einbezogen werden muss auch die Informationsaufnahme, Prognose, Planung, der Planungsentscheid, das Gedächtnis und die Evaluation. Diese entsprechen gemäß Zapf et al. (1999, S. 402) den Schritten in einem Handlungsprozess. Des weiteren müssen „[…] in dynamischen Systemen […] bestimmte Prognosen gebildet werden, wie sich die Umwelt bzw. ein bestimmtes System in der Zukunft verhält, auch wenn nicht gehandelt wird“ (Zapf et al., 1999, S. 401).

In einer patientenprozessorientierten Prüfung soll folgende Annahme gelten:

Alle expliziten und impliziten Leistungsanforderungen werden einzeln situationsgemäß und durch den Prüfling zu vertreten zu einem zu beurteilenden Grad erfüllt. Situationsgemäß bedeutet, dass dabei alle den Patientenprozess beeinflussenden Faktoren eine Rolle spielen.

Als Maß für ein Nichtbestehen kann gelten:

Eine oder mehrere durch den Prüfling zu vertretende, explizite oder implizite Leistungsanforderungen wurden einzeln oder in Summe situativ mangelhaft oder ungenügend erfüllt.

a) Dies hat situations- oder patientenzustandsbedingt einen tatsächlichen oder einen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden Patientenschaden zur Folge.

b) Diese Mängel lassen sich nicht durch eine Analyse ihrer Kausalität in einen für ein Bestehen noch ausreichenden Leistungsbereich überführen.

Literaturverzeichnis

Ebbinghaus, M. (2004). Prüfungsformen der Zukunft? Prüfungsformen mit Zukunft? Projektarbeit und ganzheitliche Aufgabe ; zweite Evaluation der Abschlußprüfung in den IT-Berufen. Bertelsmann.

Berwanger, J., Steven, M., Krommes, W. & Winter, E. (2021, April 12). Prozess. Gabler Wirtschaftslexikon. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/prozess-45614/version-383782

Weltring, R. (2016). Qualitätsmanagement nach ISO 9001:2015 für Dummies. Wiley-VCH.

Zapf, D., Frese, M. & Brodbeck, F. C. (1999). Fehler und Fehlermanagement. In C. Hoyos & D. Frey (Hrsg.), Arbeits- und Organisationspsychologie: Ein Lehrbuch. 398–411. Beltz.

Zitation (APA 7): Gabriel,O. (30. Juni 2024). Eigenschaften einer prozessorientierten Beurteilung und Bewertung. Prozessorientierte Didaktik im Gesundheitswesen. https://pdges.de/eigenschaften-einer-prozessorientierten-beurteilung-und-bewertung/.

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